Digitalisierung und digitale Tools nehmen in der medizinischen Versorgung immer mehr zu. Inwieweit dieser Wandel auch Patientenschulungen betrifft und welche Vorteile sich daraus ergeben können, berichtet PD Dr. Doris Staab, Berlin, die Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Nia-App und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung ist.
Die diesjährige AGAS/AGNES-Tagung stand auch im Zeichen des Aufbruchs und der Digitalisierung. Welchen Einfluss hat dieser Wandel auf Patientenschulungen?
Das Thema Digitalisierung hat uns, wie viele andere Bereiche, überrollt. Durch die Pandemie haben wir überlegt, wie wir Patientenschulungen in digitaler Form anbieten können, denn das Thema wurde plötzlich sehr dringend. Krankenkassen sind durch die Pandemie online-Veranstaltungen gegenüber flexibler geworden. Demnach war es relativ unbürokratisch, die Kurse aus pandemiebedingten Gründen online durchzuführen. Ohne Pandemie wäre das sicherlich nicht so unproblematisch gewesen.
Online-Patientenschulungen sind für uns aber schon relativ lange ein aktuelles Thema. Wir haben das Problem, dass es in Ballungsräumen ziemlich viele Angebote gibt, die Situation auf dem Land allerdings ganz anders aussieht. Für Familien mit an Neurodermitis erkrankten Kindern ist es in vielen Landstrichen Deutschlands schwierig überhaupt an Schulungsangebote zu kommen. Deswegen haben wir schon in der vorletzten AGAS/AGNES-Tagung dazu aufgerufen neue Konzepte zu entwickeln, die diese Versorgungslücke schließen könnten.
Welchen Stellenwert und welche Perspektive hat bzw. bietet die Digitalisierung in der pädiatrischen Dermatologie?
Da gibt es mehrere Aspekte zu betrachten. Für die Dermatologie finde ich beispielsweise online-Sprechstunden immer noch schwierig – vor allem, wenn es die Erstvorstellung betrifft. Denn gerade bei der Haut ist es nicht nur das Anschauen, sondern auch das Anfassen, das einen in der Diagnostik weiterbringt. Trotzdem glaube ich, dass es für das Management, als Unterstützung für Familien, die keinen Zugang zu einem Facharzt haben, durchaus sinnvoll ist.
Ich denke was Schulung betrifft, wird es in Zukunft ein Nebeneinander beider Angebote geben. Für mich persönlich ist die Live-Gruppensitzung immer noch der Goldstandard und die online-Variante die zweitbeste Möglichkeit. Aber sie ist definitiv besser als gar nichts. Das ist der Grund, warum wir, vom Förderkreis Patientenschulung in Berlin, mit den online-Angeboten am Anfang sehr zögerlich waren. Wir haben aber inzwischen festgestellt, dass das sowohl für die Anaphylaxieschulung als auch für die Neurodermitisschulung – besonders für die Elternschulungen – sehr gut funktioniert.
„Die Nia-App ist hingegen ein hervorragendes Tool mit sehr gutem Konzept, weil sie von Anfang an gemeinsam mit Patienten, Eltern und uns Spezialisten entwickelt wurde.„
Pädiatern und Patienten stehen immer mehr digitale Tools, wie u. a. die Nia-App zur Verfügung. Wie sehen Sie hier die nahe Zukunft?
Eigentlich sehr gut, muss ich sagen. Natürlich bietet das Internet eine Vielzahl an Angeboten, wenn man nach Neurodermitis sucht. Da gibt es auch eine Reihe nicht validierter Angebote. Die Nia-App ist hingegen ein hervorragendes Tool mit sehr gutem Konzept, weil sie von Anfang an gemeinsam mit Patienten, Eltern und uns Spezialisten entwickelt wurde. In der Nia-App befinden sich, neben den Funktionen, die sich Patienten gewünscht haben, wie der Dokumentation des Verlaufs, auch eine Reihe an validierten Schulungsinhalten aus der AGNES-Schulung. Wir haben als AGNES eine Kooperation mit Nia, die es ermöglicht, die Schulungsinhalte digital nutzen zu können. Zudem wird Patienten, die an unserer Schulung teilgenommen haben, ein kostenloser Zugang zur Nia-App ermöglicht. Ich glaube das ergänzt sich hervorragend.
Was ist das Ziel von Patientenschulungen?
Sinn und Zweck von Patientenschulung ist empowerment. Es bedeutet: den Patienten zu befähigen eigene Entscheidungen z.B. über die Intensität der Hautbehandlung zu treffen, bzw. bei den Kindern natürlich die Eltern. Es geht darum etwas mehr Selbstsicherheit im Umgang mit der Erkrankung zu erhalten. Eltern und Patienten sollten dahingehend trainiert werden, dass sie den Maßnahmen vertrauen, die sie anwenden und nicht immer wieder Neues ausprobieren, weil neue Hype-Produkte auf den Markt kommen. Man sollte in der Lage sein, seriöse von unseriösen Angeboten unterscheiden zu können. Hier kann die Nia-App ziemlich gut unterstützen, weil sie das Thema der Selbstbeobachtung aufgreift. Zudem werden auch psychologischen Themen aufgegriffen, wie „was mache ich bei Schlafstörungen“, „wie kann ich mir meine Energietankstellen holen“, sprich, alles was in unseren Schulungsgruppen auch thematisiert wird. Dazu gehören u.a. Minivideos zur Ernährung – da Ernährung ein Unsicherheitsthema bei Neurodermitis ist. Viele gehen davon aus, dass bestimmte Nahrungsmittel oft schuld sind, dabei ist es bei der Mehrzahl an Kindern nicht so. Ich finde, dass die Nia-App diese Themen gut behandelt. Die Entwickler haben sich sehr viel Mühe gegeben, nur solche Inhalte in der App zu integrieren, die medizinisch auch validiert sind.
Das Interview führte Romina Maccioni von signum [ pr im Auftrag von L’Oréal.